Nach dem Münchner Auftaktsieg in der Finalserie musste ratiopharm ulm in der zweiten Partie zu Hause abliefern. Der 0:2-Rückstand im Falle einer Niederlage wäre bei nur noch einem Heimspiel eine wahrscheinlich unlösbare Ausgangsposition gewesen (in der Geschichte der BBL-Finals wurde nur Bayreuth 1989 nach einem 0:2 noch Meister), aber die Ulmer behielten die Nerven und glichen die Serie mit einem 79:64-Sieg aus. Dadurch liegt der Druck jetzt bei der Mannschaft von Gordon Herbert, die am Samstag zu Hause antworten muss. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Justus Hollatz, der nach der Partie sagte, dass die (fehlende) Mentalität die Bayern das Spiel gekostet habe. Auffällig ist, dass in beiden Partien die Gewinner in der zweiten Halbzeit einen Lauf hinlegen konnten und die Verlierer exakt die gleichen Zahlen von der Dreipunkteline verzeichneten: schwache acht Treffer bei 34 Versuchen.
Die Situation der Münchner
Shabazz Napier und Andreas Obst waren die Münchner Erfolgsgaranten im ersten Finale am Sonntag. Beide kamen beim 82:66-Sieg am Ende auf 20 Zähler und brillierten als entscheidende Protagonisten des 15:0-Laufs, mit dem die Bayern die Partie beendeten. Napier füllte die Rolle als Punktesammler von der Bank exzellent aus und spielt aktuell in der Second Unit als Shooting Guard. Damit gibt er seiner Mannschaft in Abwesenheit des verletzten Carsen Edwards eine dringend benötigte Scoring-Option. Andi Obst traf fünf von sieben Dreiern und zeigte neben seiner Extraklasse als Werfer ein starkes Allroundgame.
Das zweite Finale in Ulm aber zeigte, wie abhängig die Bayern von diesem Guard-Duo sind. Ulm verteidigte deutlich besser gegen Napier und Obst, sodass die Münchner am Ende mit 64 Zählern ihre wettbewerbsübergreifend schwächste Saisonausbeute verzeichneten. Zwar knüpfte Vladimir Lucic in den Finals nahtlos an seine bislang starken Playoff-Vorstellungen an (13,5 Punkte, 8,5 Rebounds und 47,1 Prozent Wurfquote aus dem Feld in den beiden Finalpartien), aber es stellt sich trotzdem die Frage, wie die Bayern ihre Punkte generieren können. Devin Booker fand durch seine beiden frühen Fouls in Ulm keinen Rhythmus, und Joe Voigtmann scheint sich in seiner Rolle als Back-up-Center, auf die er aktuell durch die Verletzung von Elias Harris reduziert ist, unwohl zu fühlen (1,0 Punkte, 3,5 Rebounds und 0,5 Assists in 12:29 Minuten im Schnitt). Nach der zweiten Begegnung ist es zumindest eine Überlegung wert, Danko Brankovic, der eine ordentliche Leistung zeigte, mehr Minuten auf der Fünf zu geben und Voigtmann phasenweise auf die Vier zurückzubeordern. Vor den Finalspielen war häufig zu hören, dass die Ulmer vom Dreier abhängiger seien als der Titelverteidiger. Aber die Münchner nehmen die meisten Versuche von Downtown in der ganzen Liga (sogar mehr Dreier als Zweier) und haben ihr Volumen in den Playoffs mit fast 34 Abschlüssen pro Partie noch weiter nach oben geschraubt.
Die Situation der Ulmer
In der Auftaktbegegnung waren die Schützlinge von Ty Harrelson lange gleichwertig, ehe sie in der Schlussphase einbrachen. Viele Ulmer werteten dies als eine verpasste Chance. Danach legte der Meister von 2023 am Mittwoch mehr Intensität und Aggressivität an den Tag und erinnerte beim 79:64-Heimsieg an die Auftritte gegen Berlin und Würzburg. Vor allem in der Verteidigung packte Ulm ordentlich drauf. Nach nur vier Ballgewinnen in München waren es 15 in der zweiten Begegnung, die Zahl der Bayern-Ballverluste verdoppelte sich von elf auf 22. Karim Jallow hatte vor der Partie mehr Tempo angekündigt, und das konnten er und seine Teamkollegen auf Grundlage der starken Defensive umsetzen. Dabei ging der Combo-Forward voran und war an beiden Enden des Feldes der herausragende Akteur. Lediglich von der Freiwurflinie (fünf von zwölf) schwächelte der 28-Jährige, dessen Statistiken sich ansonsten wie ein Gedicht lesen (23 Punkte, sechs Rebounds, Karrierebestleistung mit sechs Ballgewinnen und zwei Blocks). Spätestens nach dieser beeindruckenden Leistung dürfte klar sein, dass er für die nächste Spielzeit nicht zu halten sein wird.
Ben Saraf und Noa Essengue, denen man im ersten Spiel anmerkte, dass die aufgrund des NBA-Drafts geführten Termindiskussionen nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen waren, zeigten sich verbessert, aber noch nicht in der Verfassung, die sie in den beiden ersten Playoff-Runden zeigten. Dennoch konnten die Ulmer neben dem Ergebnis weitere positive Tendenzen vermerken. Es gelang ihnen, das Tempo auf ein höheres Niveau als in München zu hieven. Sie bewiesen außerdem, dass sie die Bayern auch in einem Low-Scoring-Game schlagen können. Derzeit wirken die Ulmer Offensiv-Optionen zwingender und breiter gefächert (fünf Spieler punkteten zweistellig).
Kochs Nachschlag
Karim Jallow scheint auf einer Mission zu sein. Eine Möglichkeit für die Bayern wäre es, ihn defensiv mehr im Low Post arbeiten zu lassen, wo Jack White über physische Vorteile verfügt. Zudem war der Australier am Mittwoch neben Lucic der beste Münchner (zehn Punkte, acht Rebounds und drei Assists). Unabhängig davon ist es nach den Eindrücken der ersten beiden Begegnungen gut möglich, dass die Serie über die volle Distanz gehen wird.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital, DAZN und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Im Podcast "Talkin‘ Basketball", der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist, sprechen er und Oliver Dütschke regelmäßig mit Protagonisten aus der deutschen Basketballszene. Seine Kolumne zum BBL-Geschehen findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag".