Natürlich sprechen alle von den Trierern, die als ProA-Meister nach dem siebten BBL-Spieltag die Tabelle anführen, aber auch der zweite Aufsteiger Science City Jena steht überraschend gut da – und dies natürlich wieder unter Headcoach Björn Harmsen.
Obwohl die wichtigen Pokalviertelfinalpartien gegen die großen Teams aus München und Berlin weder physisch noch emotional verarbeitet sind, geht es für die Aufsteiger bereits am Mittwochabend mit ihrem direkten Aufeinandertreffen weiter. Vor allem für Science City Jena ist dies ein enormer Kraftakt. Denn während die Trierer, deren sensationeller Saisonstart hier bereits gewürdigt wurde, nicht reisen müssen, geht es für die Schützlinge von Björn Harmsen nach der Partie in Berlin über den Zwischenstopp in Jena an die Mosel. Dazu bleibt den Thüringern auch noch ein Tag weniger Pause zwischen den Spielen. Auch wenn Jena nicht wie Trier im Überfliegermodus in die Spielzeit gestartet ist, kann man von einem sehr gelungenen Saisonstart des Neulings sprechen. Am Montag in Berlin zeigten sich die Jenaer beim 78:91 im Pokal-Viertelfinale bis zur Pause mehr als ebenbürtig (51:45), bevor der Einbruch im dritten Viertel die Begegnung entschied. Mit ihrem Run im BBL Pokal, wo sie nur auswärts antreten mussten, und einer – trotz eines knackigen Auftaktprogramms mit bislang nur zwei Heimspielen – ausgeglichenen Bilanz in der Liga haben sich die Newcomer früh etabliert. Hervorzuheben ist dabei der 85:72-Derbysieg zuletzt am siebten Spieltag gegen Chemnitz.
Zwei Aufstiegsspezialisten
Es liegt 18 Jahre zurück, dass Björn Harmsen die Jenaer Basketballer aus der zweiten Liga erstmals ins Oberhaus führte. Für den zu diesem Zeitpunkt 25-Jährigen war es seine Premierensaison als Head Coach einer Seniorenmannschaft und in seinem anschließenden ersten Jahr in der ersten Liga war er 2007/08 jüngster BBL-Cheftrainer. 2016 gelang es dem gebürtigen Göttinger erneut, die Thüringer in die Bundesliga zu hieven. Und da bekanntlich aller guten Dinge drei sind, wiederholte er das Kunststück in diesem Jahr erneut. Zuvor hatte er als Spieler die Jugendmannschaften durchlaufen und fast alle Teams des Klubs gecoacht. Oder kurz: Science City Jena ist eine Herzensangelegenheit für ihn!
Aber nicht nur er als Coach ist ein Aufstiegsspezialist, sondern auch Chris Carter, der im Sommer mit Science City Jena seine vierte Promotion ins Oberhaus feiern durfte! Zuvor gelang dies dem Linkshänder bereits mit Vechta (2018), Chemnitz (2020) und Rostock (2022). Der deutsche Pass, den der gebürtige Amerikaner in seiner Rostocker Zeit erhielt, hat für ihn eine karriereverlängernde Wirkung. Für Jena steht er derzeit zehn Minuten pro Partie auf dem Parkett.
Die Mannschaft
Mit insgesamt fünf US-Profis, den eingebürgerten Amerikanern Carter und Alex Herrera und Big Man Great Osobor, der vier Jahre am College ausgebildet wurde, ist die Spielweise natürlich dementsprechend geprägt. Mit dem bereits BBL-erfahrenen Eric Washington (Chemnitz und Heidelberg) und dem nur 1,73 Meter großen Tavian Dunn-Martin verfügt Jena über zwei individuell starke Guards, die sich ihre Würfe kreieren können. Die reboundstarken Forwards Keith Braxton (der in der vergangenen Saison der beste Spieler der ProA war) und Joe Wieskamp (in dessen Vita 39 NBA-Einsätze auftauchen) zählen ebenfalls zu den Stützen.
Dazu kommt noch Rookie Great Osobor, der mit seiner Physis der wichtigste Faktor unter den Körben ist (in Berlin ging der 22-Jährige in der ersten Halbzeit 13mal an die Linie!) und zusammen mit Washington und Dunn-Martin die 1-1-orientierte Offensive repräsentiert. Osobor hatte vor seinem Profidebüt für Furore gesorgt, weil er in seinem letzten College-Jahr den bis dahin größten NIL-Deal in der NCAA unterschrieb (zwei Millionen Dollar), als er von Utah State zu Washington wechselte.
Bester Spieler der überschaubaren deutschen Rotation ist bislang überraschend nicht Routinier Robin Christen, sondern Eigengewächs Lorenz Bank. Dem 24-Jährigen gelang in Berlin ein Double Double, obwohl er in der zweiten Halbzeit aufgrund von Foulproblemen nur noch wenig spielte, und zuvor im Achtelfinale hatte er in Rostock per Korbleger den Gamewinner zum 80:79 genetzt (Highlights unten). Kristofer Krause hat sich in der Rotation festgesetzt, weil er immer eine hohe Intensität in der Verteidigung an den Tag legt.
Kochs Nachschlag
Ob Science City Jena in Zukunft mehr als nur die Ligazugehörigkeit in der easyCredit BBL anstreben kann, bleibt abzuwarten. Der Verein investiert viel in die Jugendarbeit, und die Begeisterung im Umfeld ist groß, aber Harmsen gibt zu bedenken, wie herausfordernd es für einen kleinen Standort ist, einen wettbewerbsfähigen Etat auf die Beine zu stellen: „Derzeit sind wir ein Team am Rande der ersten Liga. Für mehr brauchen wir mehr Budget.“ Ein Abstieg wäre für den Coach kein Beinbruch, weil der Klub sich aus seiner Sicht auch in den Zweitligajahren immer weiter professionalisiert hat. Entsprechend sei ein direkter Wiederaufstieg realistisch. Auch wenn Harmsen aufgrund seiner Historie (er führte 2009 auch den Mitteldeutschen BC in die Bundesliga) für eine solche Mission genau der Richtige wäre, sollte dieses Szenario nach dem bisherigen Saisonstart nur Plan B sein.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital, DAZN und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Im Podcast "Talkin‘ Basketball", der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist, sprechen er und Oliver Dütschke regelmäßig mit Protagonisten aus der deutschen Basketballszene. Seine Kolumne zum BBL-Geschehen findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag".

















