Mehr als 50 Punkte in einem Spiel – was ich für die easyCredit BBL kaum noch für möglich gehalten habe, schaffte Chris Clemons am vergangenen Wochenende. Der Amerikaner markierte beim 108:85-Erfolg der EWE Baskets Oldenburg gegen die VET-CONCEPT Gladiators Trier 52 Zähler.
Dabei musste ich sofort an die 100 Punkte denken, die Wilt Chamberlain am 2. März 1962 im Trikot der Philadelphia Warriors gegen die New York Knicks erzielte. Für mich war und bleibt das eine unfassbare Leistung, und ich habe immer das Bild vor Augen, auf dem „the Big Dipper“ ein Blatt Papier mit der handschriftlichen Aufschrift „100“ für die Fotografen in der Hand hält.
In der Musik gibt es den Begriff des One-Hit-Wonders, der aber nicht auf den Basketball übertragbar ist. Dennoch ist es schwierig, besondere Leistungen in einer Partie einzuordnen. Ich habe mir Gedanken gemacht, welche Kriterien dafür in Frage kommen könnten.
Kriterien zur Einordnung
Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob das Team des Rekord-Scorers gewinnen konnte. Wie oft haben wir schon von Spielern im Falle einer Niederlage gehört, dass aufgrund dessen ihre persönliche Leistung wertlos sei. Oldenburg hat gewonnen, aber es war auch ein relativ deutlicher Sieg. Bei einem knappen Erfolg wäre eine besondere Leistung grundsätzlich höher anzusiedeln. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung des Spiels von Relevanz. Herausragende Auftritte in Playoff- oder gar Championship-Partien werden ganz besonders gewürdigt. Aber andererseits war es kein unbedeutendes Spiel für Oldenburg. Nach vier Liganiederlagen zum Saisonauftakt standen die Niedersachsen unter Druck. Eine weitere Pleite hätte in Oldenburg Konsequenzen nach sich ziehen können. Aber auch Clemons selbst war mit seiner Wurfauswahl in Verbindung mit schwacher Trefferquote bei den Oldenburger Fans schon in Frage gestellt worden, speziell nachdem er in der Vorwoche im Pokal nur einen von 14 Würfen aus dem Feld genetzt hatte. Entsprechend kann man sagen, dass er diese fantastische Leistung unter einem gewissen Druck abgerufen hat. Okay, es waren keine spielentscheidenden Körbe im Schlussviertel dabei, aber das ist nun einmal so, wenn die Partie nicht bis zum Ende spannend bleibt.

Andere Faktoren, die helfen, eine solche Leistung zu bewerten, sind die Zahl der Würfe und die Trefferquoten. Diese sprechen eindeutig für den Oldenburger Neuzugang, der alle seine sieben Freiwürfe traf und 18 von 25 Würfen aus dem Feld versenkte, darunter neun von elf Dreiern (hier alle seine 18 Feldkörbe). Dieses wunderschöne Paket schnürte der nur 1,75 Meter große Guard gegen eine Trierer Verteidigung, die bis dahin das beste Defensiv-Rating der Liga aufgewiesen hatte!
Schließlich lohnt es sich noch, auf den prozentualen Anteil der Punkte am gesamten offensiven Output des Teams zu schauen. Keith Gray erzielte 1988 beim 142:84-Sieg des TSV 1860 Hagen gegen die SG Braunschweig den BBL-Rekord von 65 Punkten. Das waren 45,8 Prozent der gesamten Zähler. Clemons war mit 48,1 Prozent leicht besser. Aber war das nur ein Ausreißer, oder kann der 28-Jährige immer mal wieder derart punkten?
Chris Clemons und seine Scoring-Qualitäten
Er kann! Ich gebe euch gerne einen kurzen Abriss. Im College gelangen ihm bereits in seinem zweiten Jahr 51 Punkte im Conference Tournament bei einem knappen 81:79-Sieg (Highlights). Bei seinem NBA-Debüt im November 2019 legte er für die Houston Rockets 16 Zähler gegen die Miami Heat auf (Highlights). Zwei Wochen später folgte sein Rekord in der US-Profiliga mit 19 Punkten gegen die Minnesota Timberwolves. Ein Jahr später war seine NBA-Karriere aufgrund eines Achillessehnenrisses dann leider beendet – trotz einiger Highlights:
Seine 52 Punkte vom vergangenen Wochenende sind aber nicht einmal seine persönliche Bestleistung. Ende 2022 gelangen ihm in China 55 Zähler, wofür er allerdings 33 Feldwurfversuche benötigte. In der G-League hält er mit 27 den Rekord für die meisten Punkte in einem Viertel, wobei er alle neun Würfe aus dem Feld eintütete. Nun werdet ihr sagen, das sind doch nur einzelne Spiele! Aber Chris Clemons kann es auch über eine komplette Saison. Nachdem er schon als Sophomore der zweitbeste Scorer der NCAA gewesen war, setzte er sich in seinem Abschlussjahr mit 30,1 Punkten pro Partie die Krone auf.
Kochs Nachschlag
Clemons lieferte das erste BBL-Spiel mit mehr als 50 Punkten seit 33 Jahren. Allein dafür darf man den Amerikaner als „modern day hero“ bezeichnen. In der Ligageschichte steht er damit auf dem siebten Platz. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass er diesen Wert mit der Dreipunktelinie und in einer Zeit aufgelegt hat, in der es aufgrund des höheren Tempos auch mehr Würfe gibt. Entsprechend möchte ich hier die Spieler erwähnen, die vor Einführung der Dreipunktelinie (in Deutschland 1984) mehr als 50 Punkte in einer Partie erzielten: Bob Osberry 59 Punkte (1976), Ljubodrag Simonovic 55 Punkte (1976), Terry Schofield 52 Punkte (1974) und Ingbert Koppermann 52 Punkte (1975).

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital, DAZN und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Im Podcast "Talkin‘ Basketball", der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist, sprechen er und Oliver Dütschke regelmäßig mit Protagonisten aus der deutschen Basketballszene. Seine Kolumne zum BBL-Geschehen findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag".

















