Das Spiel zwischen Deutschland und Litauen wäre als der absolute Hochgenuss im Gedächtnis geblieben, wenn es nicht die rassistischen Ausfälle gegen Dennis Schröder gegeben hätte. Neben der uneingeschränkten Solidarität der Basketballgemeinde gegenüber Dennis, wie sie Per Günther so treffend formuliert hat, sind vor allem aktiver und kollektiver Widerstand in den Hallen und die härtesten Strafen gegen die Täter angebracht.
Notwendig, aber eben auch traurig, dass dieser Nachschlag mit Gedanken zu diesem unsäglichen Verhalten beginnen muss, denn eigentlich hätte ich nach dem dritten Spiel als erstes festhalten wollen, dass die deutsche Mannschaft bislang die beste im Turnier ist und in der aktuellen Verfassung sich auch nicht vor den von mir vor EM-Beginn stärker eingeschätzten Serben verstecken muss. Einer der Gründe dafür ist, dass aus den drei Fragezeichen in den ersten drei Partien (fast schon erwartungsgemäß) die drei Ausrufezeichen wurden.
Die drei ??? …
… heißen ja eigentlich Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, für die deutsche Basketballöffentlichkeit lauteten ihre Namen vor der EM aber Maodo Lo, Andi Obst und Daniel Theis, weil dieses Trio sich bis dahin noch nicht in Bestform präsentierte. Letzterer kam angeschlagen zum Team und spielte zum Auftakt gegen Montenegro noch mit angezogener Handbremse, die er gegen Schweden lockerte, bevor er dann gegen Litauen auch noch den rechten Fuß mit viel Druck aufs Gaspedal setzte. Gegen die Balten erzielte der 33-jährige Center 23 Punkte ohne Fehlwurf und bewies, dass das Zusammenspiel mit seinem Spezi Schröder wieder in Perfektion funktioniert.
Lo, dessen körperliche Fitness ebenfalls zu Spekulationen Anlass gab, übernimmt mittlerweile wieder die Aufgabe der dritten 1-1-Option und des dritten Kreativspielers neben Schröder und Franz Wagner (wie er bei diesem Buzzerbeater demonstriert). Unter einem neuen Coach und in Abwesenheit von Nick Weiler-Babb ist er in die Rolle zurückgekehrt, die er beim WM-Sieg von 2023 und noch mehr beim EM-Bronze von 2022 einnahm. 9,7 Punkte, 5 Assists und eine Dreierquote von 54 Prozent legt der 32-Jährige auf. Stichwort Dreierquote – die liegt für Andi Obst nach zwölf Treffern bei 17 Versuchen bei 71 Prozent! Manche wussten und viele ahnten es – rechtzeitig zum Turnierstart gegen Montenegro würde er seine Zahlen aus dem Keller auf die Dachterrasse hieven (hier sein Dreierregen). Mit 13 Punkten ist der Shooting Guard der drittbeste deutsche Scorer nach den beiden Superstars. Jonas, Shaw und Andrews lösen Fälle in Rocky Beach – Lo, Obst und Theis in Tampere.
Teamchemie und Coaches
Die Teamchemie dieser Mannschaft ist einfach überragend! Ich weiß aus meiner Vergangenheit als Coach, wie weit dies eine Mannschaft tragen kann, die zusätzlich auch noch megatalentiert ist. Wenn ich die Abläufe im Kabinengang vor den Spielen sehe, die Lo mit seinem „Jump-Bump-Ritual“ abschließt, bekomme ich Gänsehaut. Auf dem Feld geht Kapitän Dennis Schröder voran und zeigt eine unbändige Spielfreude.
Diese Jungs haben Spaß miteinander und verlieren auch durch die Abwesenheit des erkrankten Alex Mumbru nicht den Fokus. Dafür sorgt auch Alan Ibrahimagic, der in seiner Rolle als Interimschef konsequent die Ideen des abwesenden Bundestrainers umsetzt, was ihm neben der Akzeptanz der Spieler auch die des Spaniers sichert. Dazu tritt der Mann, der 2024 mit der U18 Europameister und in diesem Jahr mit der U19 Vizeweltmeister wurde, gegenüber den Medien ruhig und abgeklärt auf. Dabei erinnert er ein wenig an den Stoiker Gordon Herbert.
Kochs Nachschlag
Die deutsche Mannschaft hat bei den letzten drei großen Turnieren immer denkwürdige und hochqualitative Auftritte geliefert. Bei der EM 2022 denke ich an das Vorrundenspiel gegen Litauen, das erst nach zweimaliger Verlängerung entschieden wurde (Boxscore), und vor allem an das großartige Viertelfinale gegen Giannis und seine Griechen (Boxscore). Letztes Jahr gab es bei den Olympischen Spielen den grandiosen Erfolg gegen Gastgeber Frankreich in der Vorrunde (Boxscore). Ganz oben steht aus meiner Sicht aber der Halbfinalsieg bei der WM 2023 gegen die USA (Boxscore).
Für mich war die Partie am Samstag gegen Litauen das beste Spiel der Nationalmannschaft seit dieser Begegnung. Die Rädchen greifen perfekt ineinander, und die Mannschaft wird immer besser. Die Spieler kennen sich in- und auswendig, weil es in den letzten drei Jahren – auch dank des von Gordie Herbert eingeforderten Commitments – kaum personelle Fluktuation gab. Es ist eine Augenweide, dieser Mannschaft bei ihrem Teamsport zuzuschauen.
Deutschland ist jetzt der Titelfavorit! Und ich möchte betonen, dass es primär die Stärken der DBB-Auswahl sind, die mich zu dieser Einschätzung bringen und nicht die serbischen Probleme mit dem Verletzungs-Aus von Bogdan Bogdanovic und den atmosphärischen Dissonanzen zwischen Svetislav Pesic und Vasilije Micic.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital, DAZN und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Im Podcast "Talkin‘ Basketball", der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist, sprechen er und Oliver Dütschke regelmäßig mit Protagonisten aus der deutschen Basketballszene. Seine Kolumne zum BBL-Geschehen findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag".