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Home/Newscenter/Hungrig, uneigennützig und wurfstark – wie ein finnisches Bruderpaar einen Fastabsteiger an die Tabellenspitze führte

Kochs NachschlagHungrig, uneigennützig und wurfstark – wie ein finnisches Bruderpaar einen Fastabsteiger an die Tabellenspitze führte

01. November 2019
Wie, Crailsheim ist Tabellenführer? Dieser Verein, der vergangene Saison quasi schon wieder abgestiegen war? Wie ist das denn möglich? Fragen, die zeigen, dass es genau der richtige Augenblick ist, zu schauen, was die Zauberer aus dem Nordosten Baden-Württembergs alles gut und richtig machen.

– Stefan Koch

Wie, Crailsheim ist Tabellenführer? Dieser Verein, der vergangene Saison quasi schon wieder abgestiegen war? Wie ist das denn möglich? Fragen, die zeigen, dass es genau der richtige Augenblick ist, zu schauen, was die Zauberer aus dem Nordosten Baden-Württembergs alles gut und richtig machen.

In der vergangenen Saison gehörten RASTA Vechta die Schlagzeilen. Der Aufsteiger aus der niedersächsischen Provinz kreierte einen eigenen Stil und schloss die Spielzeit sensationell auf dem vierten Platz ab. Der zweite Neuling, die HAKRO Merlins Crailsheim, hingegen flogen fast die gesamte Saison unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Lediglich am letzten Hauptrundenwochenende stand das Team im Rampenlicht, als es den fast schon sicheren Abstieg durch zwei Siege in Jena und gegen Oldenburg verhinderte. Als „magischen Tag“ bezeichnet Head Coach Tuomas Iisalo diesen letzten Spieltag am 12. Mai gerne. Aber auch diese Einschätzung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Crailsheimer nur mit viel Glück und in letzter Sekunde dem Abstieg entgehen konnten. Die Mannschaft war überaltert und wenig athletisch.

Entsprechend entschieden sich Sportdirektor Ingo Enskat und sein finnischer Cheftrainer bei der Zusammenstellung des neuen Kaders zu einer Radikalkur, der nur zwei Spieler der Vorsaison nicht zum Opfer fielen: Sebastian Herrera und der nur 1,80 Meter großen DeWayne Russell, der gerne das Spektakuläre übernimmt - wie das erste Video rechts vom Sieg in Gießen zeigt.

Auf der Bank wird der 37-jährige Iisalo seit dieser Saison von seinem vier Jahre jüngeren Bruder Joonas assistiert. Und die Umstrukturierung ist offensichtlich erfolgreich. Nach fünf Spieltagen sind die HAKRO Merlins Crailsheim noch ungeschlagen, haben Gießen, Bayreuth, Bonn, Göttingen und Weißenfels geschlagen und grüßen als die große Überraschung von der Tabellenspitze. Am Samstag (ab 20.15 Uhr hier bei MagentaSport) geht es zu Hause gegen Oldenburg, jenen Kontrahenten, der den Crailsheimern im Pokal die bislang einzige Saisonniederlage zufügen konnte.

Radikale Verjüngungskur

Für den Head Coach war die neue Zusammenstellung eine bewusst gewählte Herausforderung. „Tuomas ist ein analytischer und taktischer Trainer. Vielleicht hat er deshalb zuvor eher zu erfahrenen Spielern tendiert. Aber jetzt hat er viel Spaß mit dieser hungrigen Mannschaft, die alles aufsaugt“, sagt Enskat, der gerne darauf verweist, dass die Mannschaft mit einer enormen Intensität trainiert. Nachdem Crailsheim in der Vorsaison die älteste Truppe stellte, ist im aktuellen Team kein Spieler älter als 26 Jahre. Bei den neuen Ausländern achtete man besonders auf Athletik und Verteidigungsqualitäten. Defensiv ist die Mannschaft tatsächlich solide, aber trotz ihrer vielen Ballgewinne brilliert sie bislang noch mehr mit ihrer Offensive. Mit 96,6 Punkten pro Partie legen die Iisalo-Schützlinge den Ligabestwert auf.

Ihre beeindruckendsten Auftritt hatten sie am dritten Spieltag in Bonn, wo sie den Gastgebern beim 82:114 die höchste Heimniederlage der Vereinsgeschichte zufügten. Wie hoch diese Leistung zu bewerten ist, zeigte sich zwei Tage später, als die Bonner überraschend den Deutschen Meister Bayern München aus dem Pokalwettbewerb warfen.

Extrapässe und Dreier

Der Crailsheimer Angriff zeichnet sich in erster Linie durch schnelle Ballbewegung aus. Mit uneigennützigem Passspiel werden immer wieder die guten Werfer in Position gebracht. Dabei erinnert die Offense ein wenig an die der Bamberger unter Andrea Trinchieri: Über eine Penetration oder ein Pick and Roll wird ein erster Vorteil kreiert, der über Extrapässe weiter ausgebaut wird, wie im zweiten Video zu sehen ist.

Am Wochenende entschied sich der MBC in der zweiten Halbzeit das Pick and Roll zu switchen, um nicht mehr gegen die Crailsheimer Ballbewegung rotieren zu müssen (drittes Video). Ist das für die Zukunft möglicherweise von Spielbeginn an das Mittel der Wahl, um das Crailsheimer Offensivfeuerwerk zu kontrollieren?

Grundsätzlich muss ein Gegner gegen Crailsheim die Dreipunktelinie kontrollieren, denn mit 67 eingenetzten Distanzwürfen hat das Überraschungsteam häufiger von außen eingenetzt als jedes andere Team der Liga (viertes Video). Und dabei ist auch die Wurfquote von Downtown mit 41,4 Prozent durchaus gut – was umso wichtiger ist, wenn bedacht wird, dass die Merlins fast genauso viele Dreier (162) wie Zweier (170) nehmen.

Aufsteiger Herrera

Für die Spieler selbst scheinen die Erfolge nicht überraschend zu kommen, bereits nach dem Auftaktsieg in Gießen sagte der junge Kapitän Herrera, dass aus seiner Sicht die neue Mannschaft von der ersten Sekunde an „geklickt“ habe. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines chilenischen Vaters ist einer der Aufsteiger der ersten Saisonwochen. 2014 spielte er mit der chilenischen Jugendnationalmannschaft ein Turnier in Deutschland, womit seine Karriere im Heimatland der Mutter begann. Über Trier führte sein Weg nach Crailsheim, wo er in seiner ersten Bundesligasaison 4,5 Punkte pro Partie erzielte und als ein reiner Dreipunktespezialist galt.

In den ersten fünf Spielen der aktuellen Spielzeit gelangen ihm 16 Zähler im Schnitt mit einer surrealen Dreierquote von 68,4 Prozent (13/19). Aber Herrera ist nicht nur als Scorer aufgetreten, denn im Sommer hat er hart daran gearbeitet, seinem Repertoire neben dem Distanzwurf weitere Dimensionen hinzuzufügen. „Seba hat sich vor allem defensiv stark verbessert“, lobt Enskat den Deutsch-Chilenen.

Kochs Nachschlag

Hungrig, uneigennützig und wurfstark – die Crailsheimer Mannschaft präsentiert sich bislang hochfunktional, für einen mittelfristigen Höhenflug sind die Voraussetzungen für den Klub aber nicht gegeben. Mit nur 34.000 Einwohnern verfügt die Stadt im fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württembergs über keine ausreichende Basis. Die außerhalb gelegene Arena Hohenlohe ist eine Mehrzweckhalle, in der auch Viehauktionen stattfinden. Entsprechend gehört für den jahrelangen Macher Martin Romig eine neue Spielstätte zu den wichtigsten Themen. Auch wenn Crailsheim nicht mehr lange vor München und Berlin stehen dürfte, so bietet der Aufstand des kleinen gallischen Dorfes eine Facette, die der Liga guttut.

Zur Person

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.

Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ erscheint regelmäßig auf der Homepage der easyCredit BBL.