Der leichtfüßige Tänzer Maodo Lo, der Topverteidiger Nick Weiler-Babb, der Scharfschütze Andi Obst, das kaltschnäuzige Ausnahmetalent Franz Wagner und der verlässliche Rollenspieler Niels Giffey – in dieser Ausgabe von Kochs Nachschlag geht es um die Guards und Small Forwards der deutschen Nationalmannschaft.
Wer sich fragt, warum Dennis Schröder, der am Donnerstag seinen 29. Geburtstag feierte, und Justus Hollatz nicht auftauchen, sollte die Kolumne vom Donnerstag über die Big Men lesen. Dort findet ihr unter anderem die Antwort auf diese Frage.
Maodo Lo
Die letzte Euroleague-Saison hat es gezeigt und die EM bestätigt es: Maodo Lo ist ein Guard auf allerhöchstem europäischem Niveau. Ich bin überzeugt, dass seine Fähigkeiten NBA-Level haben. Ob es für ihn sinnvoll wäre, nach Nordamerika zu wechseln, steht aber auf einem anderen Blatt. Bei dieser EuroBasket brilliert er nicht nur, wenn er Dennis Schröder vertritt. Denn es gibt durchaus gemeinsame Momente auf dem Parkett, in denen der Kapitän dem Berliner Ball und Vortritt überlässt. Die Leichtfüßigkeit und Eleganz des 29-Jährigen suchen ihresgleichen. Seine Tempo- und Richtungswechsel sind so gut wie nicht zu verteidigen. Lo produziert von der Bank kommend mit 12,7 Zählern pro Partie (28/57 Feldwürfe, 49,1 Prozent) die drittmeisten Punkte im DBB-Team und sorgt mit seinen kreativen Elementen für Momente der Verzückung auf der Tribüne.
Nick Weiler-Babb
Der eingebürgerte Amerikaner nimmt sich im Angriff extrem zurück. Das dürfte einerseits mit seiner Schulterverletzung zusammenhängen, andererseits auch damit, dass er sieht, in welch gutem Rhythmus viele seiner Mannschaftskameraden unterwegs sind. Nick Weiler-Babb ist ein ultimativer Teamspieler, der aber auch übernehmen kann, was er bei den Bayern schon oft genug bewiesen hat. Defensiv zeigt der 26-Jährige aber auch bei diesen kontinentalen Titelkämpfen seine Extraklasse. Im Halbfinalduell gegen Spanien trifft die deutsche Mannschaft mit Lorenzo Brown auf einen 1,96 Meter großen Point Guard, der bislang ein exzellentes Turnier absolviert hat. Gut möglich, dass wir deshalb gegen die Iberer mehr vom Münchner sehen werden als in den bisherigen Partien.
Andreas Obst
Weiler-Babbs Mannschaftskamerad aus der bayrischen Landeshauptstadt kommt auf den ersten Blick als sein Gegenentwurf daher. Seine Stärken kann man eher offensiv als defensiv verorten, und im Gegensatz zum Allrounder NWB hat sich Andi Obst den Ruf des Spezialisten erworben. Natürlich ist der 26-Jährige ein unfassbar guter Werfer, der selbst schwierigste Distanzwürfe hochprozentig in den Korb zimmert (bei der EM bisher: 18/37 Dreier, 48,6 Prozent). Es wäre aber eine Fehleinschätzung, Obst darauf zu reduzieren. Er hat seinen Drive stetig verbessert und kann den Ring über beide Seiten attackieren. Aber der lange Wurf bleibt natürlich trotzdem seine Kernkompetenz. Abgesehen vom Auftaktspiel gegen Frankreich hat er in jeder Begegnung mindestens zwei Dreipunktewürfe eingenetzt. Im Viertelfinale gegen Griechenland war Obst mit fünf von sieben Dreiern exzellent.
Franz Wagner
Wie gut wird dieser Bursche noch? Mit gerade einmal 21 Lenzen zählt er schon zu den Stars dieser Europameisterschaften und lieferte über die ersten sieben Partien 16,6 Punkte im Schnitt (41/78 Feldwürfe, 52.6 Prozent). In Köln wurde in Journalistenkreisen ein Vergleich mit Gordon Hayward vor dessen schwerer Verletzung gezogen. Alles, was ich in die Diskussion eingebracht habe, war die Aussage, dass Franz Wagner meiner Einschätzung nach ein besserer Spieler werden wird. Der gebürtige Berliner wird offiziell mit 2,08 Meter gelistet und kann mit dieser Länge auch als Shooting Guard auflaufen, weil er über den runden und flüssigen Bewegungsablauf eines deutlich kleineren Spielers verfügt. Sein Spiel ist extrem variabel und beinhaltet offensiv auch exzellente Bewegungsmuster abseits des Balles. Defensiv sind Skill- und Mindset weit überdurchschnittlich. Hoffentlich bleibt dieses Megatalent von Verletzungen verschont!
Niels Giffey
Niels Giffey fungierte früher bei ALBA BERLIN als Kapitän für den jungen Franz Wagner. Der 31-Jährige ist ein erfahrener und abgezockter Veteran, der seine ersten Europameisterschaften bereits 2013 absolvierte. Er ist zwar ein unspektakulärer, aber guter Verteidiger mit entsprechendem Arbeitsethos. Im Prinzip ist er der perfekte Rollenspieler, der auf der Position des Small Forwards zu Hause ist, aber auch als Shooting Guard oder Power Forward auflaufen kann, um große oder kleine Aufstellungen zu ermöglichen. Als zweimaliger NCAA-Champion kennt er die große Bühne bestens und ist aufgrund seiner Konstanz ein Spieler, den jeder Coach bedenkenlos einwechseln würde. Sein sicherer Dreier und sein grundsolides Post-up-Spiel garantieren verlässliches Scoring (im Schnitt 7,3 Punkte bei einer Wurfquote von 60,6 Prozent über die ersten sieben EM-Partien).
Kochs Nachschlag
Die vier in unserem Land ausgebildeten Spieler aus diesem Quintett haben übrigens bei der EM zusammen 114 ihrer 217 Würfe aus dem Feld genetzt, also satte 52,5 Prozent - und das über sieben Partien, zwei davon im K.o.-Modus. Mehr als beeindruckend! Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als ich bei Jugendeuropameisterschaften oder beim Albert-Schweitzer-Turnier von ausländischen Coaches und Scouts regelmäßig mit der Aussage konfrontiert wurde, dass Deutschland zwar über talentierte Big Men verfüge, nicht aber über starke und kreative Guards. Diese Nationalmannschaft beweist, dass diese längst überholte Einschätzung endgültig in die Mottenkiste gehört!

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei MagentaSport, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere und Sportdigital tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.