Stand: Telekom Baskets Bonn (1) – ratiopharm ulm (7) 0-0
Was wir bisher gelernt haben: Weder die Telekom Baskets Bonn noch ratiopharm ulm haben in den Playoffs bisher etwas anbrennen lassen. Unmittelbar an den Gewinn der Basketball Champions League ließen die Rheinländer ein klares 3:0 gegen Chemnitz folgen, und auch kämpferische Ludwigsburger wurden im Halbfinale mit dem Besen gen Sommerpause gefegt. Die Schwaben scheinen einen Ruf zu kultivieren, wenn sie als Siebter in die Postseason starten. Die Truppe von Trainer Anton Gavel entthronte erst Meister Berlin (3:1), dann wurde mit dem FC Bayern München das zweite deutsche Euroleague-Team per Sweep aus dem Weg geräumt.
Status quo: Im Finale treffen die zwei derzeit heißesten Mannschaften der easyCredit BBL aufeinander. Seit 2010 hieß der Meister immer Berlin, München oder Bamberg. Das wird sich spätestens am 18. Juni ändern, wenn wahlweise Baskets (Final-Bilanz: 0-5) oder #Uuulmer (0-3) ihre wohlverdiente erste Meisterschaft feiern.
Erstmals Deutscher Meister: In 56 Jahren Ligageschichte gab es lediglich drei Finalserien mit zwei Teams, die noch nie Meister waren: 2009 (Oldenburg 3-2 Bonn), 2004 (Frankfurt 3-2 Bamberg) und 1997 (Berlin 3-1 Bonn). Und als Vorgeschmack lässt sich anmerken, dass jede dieser drei Serien auf eine eigene Art besonders spannend war. Die diesjährigen Finalisten Bonn und Ulm waren zwar noch nie Meister, können aber ordentlich Final-Erfahrung vorweisen. Bonn ist fünffacher Deutscher Vizemeister (1997, 1999, 2001, 2008, 2009), Ulm dreifacher (1998, 2012, 2016) - es wird also auf beiden Seiten mehr als alles gegeben werden, um eine weitere Silbermedaille zu vermeiden. Wer wird erstmals Deutscher Meister: die Bonner Saison-Durchstarter oder die Ulmer Playoff-Durchstarter?

Die besondere Brisanz: Sind diese Voraussetzungen nicht schon brisant genug, können die Telekom Baskets Bonn noch mehr Geschichte schreiben: Das typische Double aus Meisterschaft und Pokal wurde in der Ligahistorie schon häufiger gewonnen (Übersicht). Allerdings hat es bislang noch kein deutscher Club geschafft, das Double aus der nationalen Meisterschaft und einem internationalen Titel zu erringen. Bonn könnte nach dem Titel in der Champions League Mitte Mai in dieser Saison also für ein Novum sorgen.
Die Saisonduelle: Das Hinspiel am 3. Januar gewann Bonn in Ulm mit 101:92 (Highlights), aber das Rückspiel am letzten Spieltag der Hauptrunde Anfang Mai war knapper – und dabei spielte auch das Cross-Matching im Backcourt eine Rolle (siehe nächste Rubrik): Shorts verteidigte mit Tommy Klepeisz den Zweier, Tyson Ward nahm sich von Beginn an Yago dos Santos an. Auf der Gegenseite verteidigte der Ulmer Aufbauspieler den gleich groß-kurzen Shorts – in der Crunchtime übernahm diese Aufgabe dann aber Brandon Paul. Der lief selbst in der Offensive heiß, glich die Partie zum 83:83 aus, konnte aber letztlich nicht verhindern, dass Shorts die Partie mit 85:83 zu Gunsten Bonns entschied. Acht der letzten neun Bonner Punkte gingen auf das Konto des wertvollsten Spielers der Saison.
Das große kleine Duell im Fokus: Mit Bonns TJ Shorts und Ulms Yago dos Santos, die beide 1,75 Meter messen, treffen die kleinsten Spieler der Liga aufeinander – welche aber beide groß aufspielen: Beide Point Guards sind in den Playoffs Topscorer ihres Teams und hinter Oldenburgs DeWayne Russell (23,7 PPG) die besten Scorer der diesjährigen Postseason, Shorts kommt aktuell auf 18,0 Zähler pro Partie, dos Santos hat sich von 14,4 Punkten in der Hauptrunde auf 17,0 Zähler gesteigert. Am Rande lässt sich noch erwähnen, dass beide Aufbauspieler bereits einen Champions League-Titel gewonnen haben, Shorts gerade eben in Europa, Yago vergangene Saison mit dem brasilianischen Team Flamengo Basketball in der panamerikanischen Champions League.
Doch zurück zur Gegenwart und da stellt sich die Frage, wie oft sich beide Spielmacher überhaupt gegenseitig verteidigen werden? Cross-Match-Ups verfolgen uns ja schon die gesamten Playoffs, worüber sich Stefan Koch in seiner ersten Kolumne zu den Finals viele Gedanken gemacht hat. So machte Ulms Karim Jallow den Münchener Einsern vor allem im letzten Spiel die Hölle heiß – bei den Bonnern war bisher Tyson Ward der Mann für diese Spezialaufgaben. Der US-Amerikaner könnte sich mit dos Santos rumschlagen und hat sicher bemerkt, dass der Brasilianer im Halbfinale gegen den Druck von Isaac Bonga seine Probleme hatte. Im letzten Hauptrundenspiel beider Teams – das die Bonner wie eben erwähnt dank TJ Shorts' starker Crunchtime mit 85:83 für sich entschieden – verteidigte in der Schlussphase Brandon Paul den Liga-MVP.

Der Ulmer Flügelspieler mit NBA-Erfahrung stieß erst im Lauf der Saison zu seinem Team (hier auf der Ulmer Homepage ein Interview mit dem Ulmer Weltenbummler) – genauso wie Javontae Hawkins bei Bonn (der allerdings als Rückkehrer), und sie sind bei ihren Teams die Männer für besondere Würfe. Hawkins ist neben Shorts der Bonner Akteur, der sich am besten aus dem Dribbling seinen eigenen Abschluss kreieren kann, Paul hat 65 NBA-Spiele für die San Antonio Spurs in der Vita und gerade erst im dritten Halbfinale den Bayern demonstriert, dass er ein Mann für große Würfe ist – hier in der Top Ten der Halbfinals auf dem zweiten Platz zu bewundern:
Auf dem Flügel begegnen sich Edelschützen mit deutschem Pass: Die Combo-Guards Sebastian Herrera (von 38,6 3P% in der Hauptrunde auf 40,0 3P% in den Playoffs gesteigert) und Thomas Klepeisz (38,9 3P% in der Serie gegen München) spielen für die österreichische bzw. chilenische Nationalmannschaft, haben aber beide einen deutschen Pass und besondere Treffsicherheit aus der Distanz. Derweil interpretieren Bonns Leon Kratzer (2,11 Meter und 110 Kilo) und Ulms Bruno Caboclo (2,06, 99) die Center-Position durchaus unterschiedlich, sind aber beide zentrale Säulen ihres Teams.
Die Trainer: Ulms Headcoach Anton Gavel war als Spieler ein Titelhamster (5x Meister, 4x Pokalsieger), hat seine Profikarriere 2018 mit einem Double aus Pokal und Meisterschaft beendet und könnte seine Trainerkarriere nun mit einer weiteren Meisterschaft einläuten. Wobei Gavel kein Rookie-Coach ist, hat er in den drei Jahren zuvor doch die Ulmer ProB- und NBBL-Teams trainiert. Gehen wir die Seitenlinie entlang, hat sich Tuomas Iisalo längst einen Namen gemacht: Der Finne ist in unserer Liga zweimal zum Trainer des Jahres gekürt worden und bekam diese Auszeichnung in dieser Saison auch in der Champions League. Das war in seinem ersten Jahr in der deutschen Beletage nicht unbedingt zu erwarten: Im März 2016 holten die HAKRO Merlins Crailsheim Iisalo nach Deutschland, doch die letzten zehn Saisonspiele gingen allesamt verloren, und Iisalo konnte die Merlins nicht vor dem Abstieg bewahren. Danach aber ging es für Iisalo nur noch bergauf … und nun in Bonn übrigens auch mit alten Merlins-Kollegen.

X-Faktor: Die Bayern konnten gegen die Ulmer durch ihre Presse zweimal das Momentum übernehmen. Sowohl der kleine Yago als auch der junge Nunez strahlten in den druckvollen Phasen wenig Ruhe aus und rannten mehrmals in die Münchener Doppel-Fallen. Anton Gavel wird das Team in den Trainingseinheiten auf diese Situationen besser einstellen, denn Bonn wird ähnlich viel Druck aufbauen – und das nicht erst im letzten Viertel.
Zahlen, bitte: Die Bonner Siegesserie im Ligabetrieb steht nach den Sweeps gegen Ludwigsburg und Chemnitz bei 25 Erfolgen, und deshalb lohnt es sich immer noch, den Konjunktiv zu bemühen: Denn wenn auch im Finale der Besen rausgeholt werden würde, ständen 28 Siege in Serie zu Buche – und das wäre dann die längste Saisonsiegesserie der Ligageschichte (und zwar noch vor den 27 Siegen in Folge, die in der Saison 2016/17 dem Finalgegner Ulm gelangen, bei dem damals übrigens Bonns aktuell verletzter Kapitän Karsten Tadda spielte). Wie die Chancen dafür stehen? Nun ja, 1986 wurden erstmals Playoffs mit drei Runden gespielt, und sechs Teams schafften es seitdem mit drei Sweeps zum Titel: München 2019 / Bamberg 2016 / Berlin 2002 / Berlin 1998 (4-0 im VF, 3-0, 3-0) / Leverkusen 1994 (2-0 im VF, 3-0, 3-0) / Leverkusen 1992 (2-0 im VF, 3-0, 3-0).
Die ewige Bilanz: Seit 1990 gab es 56 Duelle, von denen Bonn 35 und Ulm 21 gewann. Dreimal standen sich die Clubs im Viertelfinale gegenüber, Bonn gewann 1999 und 2009, Ulm 2015.
Meilensteine: Tyson Ward fehlt noch ein Steal, um während seiner Karriere in der easyCredit BBL insgesamt 100 Bälle geklaut zu haben. Zudem braucht der Flügel nur noch neun Offensiv-Rebounds, um 150 zweite Chancen erarbeitet zu haben. Wenn Robin Christen das Parkett betritt, wird dies seinen 150. Einsatz in der Beletage darstellen. Michael Kessens benötigt nur noch einen Offensiv-Rebound bis zur 300er-Marke. Karim Jallow ist noch neun Boards von insgesamt 600 Rebounds entfernt. Yago dos Santos muss nur noch 21 Assists verteilen, um 250 Vorlagen an den Nebenmann gebracht zu haben. Leon Kratzer muss noch zehn gegnerische Würfe zum Absender zurückschicken, um 150 Blocks auf dem Konto zu haben.
Alte Bekannte: Ulms Headcoach Anton Gavel hat mit Bonns Kapitän Karsten Tadda eine gemeinsame Vergangenheit: In Bamberg gewannen sie zusammen vier Meistertitel (2010 - 2013) und holten drei Pokalsiege (2010 - 2012). Allerdings ist der 34-jährige Tadda (581 BBL-Spiele) nach seiner Rücken-OP raus für die Finals, damit müssen die Telekom Baskets auf den erfahrensten Liga-Veteran verzichten, der in beiden Kadern zu finden ist. Bonns Michael Kessens und Ulms Robin Christen sowie Philipp Herkenhoff spielten von 2018 bis 2020 gemeinsam in Vechta. Papa Chris Ensminger (Nachwuchskoordinator in Ulm, früher in Bonn aktiv) und Sohn Zach Ensminger (dritter Aufbau in Bonn, 2017–2020 in Ulm ausgebildet) stehen beim jeweils anderen Programm unter Vertrag. Und zugegeben, es ist schon etwas her, aber Bonns Sebastian Herrera und Ulms Bruno Caboclo und Yago dos Santos standen sich schon mal auf etwas größerer Bühne gegenüber: im November 2021 bei der WM-Qualifikation; Herrera für Chile, Cabolo und dos Santos für Brasilien. Und mit 81:55 und 77:53 ließ Brasilien Chile keine Chance. Für Herrera und Co. ging es am Ende nicht über die erste WM-Quali-Runde hinaus, Brasilien löste hingegen das WM-Ticket.
Im Blick des Bundestrainers: Bei Bonn haben der fehlende Karsten Tadda (89 Länderspiele), Leon Kratzer (13) und Mike Kessens (4) den Adler auf der Brust getragen, bei Ulm Robin Christen (3), Philipp Herkenhoff (8) und Karim Jallow (18). Und vor allem der gebürtige Münchener Jallow, der bei der EM nicht dabei war, hat sich mit viel Energie gegen DBB-Kollegen wie Berlins Louis Olinde und Münchens Isaac Bonga und Niels Giffey sowie einigen amtlichen Stopfbällen wieder ins Gespräch gebracht.

Weise Worte: Karim Jallow hat nach dem dritten Halbfinalsieg gegen seinen Münchener Heimatverein bei MagentaSport auch auf seine sympathische Art die Chancen der Ulmer in weise Worte gepackt: „Wir haben das geschafft, was sich jedes Team wünscht, und zwar zu den Playoffs ready zu sein. Seit Spiel eins in Berlin haben wir sehr guten Basketball gezeigt. Den besten Basketball, den wir spielen, spielen wir jetzt und das ist ein wahnsinnig geiles Gefühl. Alba raus, Bayern raus – wer hätte das gedacht am Anfang der Saison. Ich freue mich einfach für den ganzen Verein, für alle Leute, die den Verein ehrenamtlich unterstützen. Schaut Euch das an hier, das ist unglaublich. Wir haben uns das verdient, dass wir jetzt im Finale sind, und das fühlt sich einfach fucking geil an. Wir haben eine geile Welle, die wir reiten und es wird schwer, uns zu stoppen. Wir wollen den Scheiß gewinnen, Alter – so sieht’s aus!“, sagte der 26-Jährige – und fügte nach kurzer Paus an: „Schöne Grüße noch an meine Oma Ingrid in Bayreuth – danke, dass Du mich immer unterstützt!“
Weise Worte: „Wenn wir die Cinderella-Story in der Champions League waren, werden die Ulmer zurecht als die Cinderella-Story der Bundesliga-Playoffs betrachtet, nachdem sie Berlin im Viertelfinale und München im Halbfinale besiegt haben", sagt Tuomas Iisalo. Lesebefehl: Die kompetente Analyse des zweifachen Trainer zu den Finals gibt es hier auf der Bonner Homepage.
Am Rande der Bande: … wird Ulms Teambetreuer Andi Klee fehlen. Gute Reise, Kutscher, wir vermissen dich!
Sonstiges: Ein Ulmer Titel ohne Speedy Günzalez? Per Günther stand in seinen 14 Jahren mit Ulm zwei Mal im Finale um die Meisterschaft (2012, 2016) und zwei Mal im Pokalfinale (2013, 2014), gewann aber keinen Titel. Was wäre das für eine Ironie des Schicksals, wenn es nun im ersten Jahr nach dem Karriereende der Ulmer Klub-Ikone klappen würde …
Sonstiges: Bonn sollte auch auf Ulms Co-Trainer Tyron McCoy aufpassen – der Mann ist selbst im Anzug treffsicher: The Cat for three!
Fernsehen / Livestream: Die Partie wird ab 20:15 Uhr live bei MAGENTA SPORT übertragen. Kommentiert wird die Begegnung von Benni Zander, dem Denis Wucherer als Experte zur Seite steht. Als Moderator führt Holger Speckhahn durch die Sendung. Es gibt alle Partien in HD – live und on demand hier bei MAGENTA SPORT.
Aktuelle Wettquoten: Telekom Baskets Bonn vs. ratiopharm ulm hier auf sportwetten.de.