Es sollte nicht sein mit dem 18. Sieg in Folge. Den NINERS Chemnitz blieb am Samstag im Pokalviertelfinale gegen ratiopharm ulm der Erfolg verwehrt, mit dem sie den „deutschen Rekord“ wettbewerbsübergreifender Seriensiege der Telekom Baskets Bonn aus der Vorsaison eingestellt hätten. Wie schon üblich konnten die Schützlinge von Rodrigo Pastore nicht in Bestbesetzung antreten und mussten mit Kaza Kajami-Keane und Jonas Richter auf zwei Schlüsselspieler verzichten. Angesichts der immensen Personalprobleme sind die bisherigen Erfolge umso beachtlicher und Anlass, den Tabellenführer genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das ist auch höchste Zeit. Denn lange flogen die NINERS in dieser Saison unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Ihre Siegesserie wurde freundlich abgenickt, doch der Überraschungsaufsteiger RASTA Vechta und die unerwarteten Niederlagen der Euroleague-Teams aus München und Berlin bestimmten die Diskussionen und Schlagzeilen.
Die beste Verteidigung der Liga
In meiner Vorschau auf die Pokalrunde des vergangenen Wochenendes habe ich mich bereits mit der Chemnitzer Defense befasst. Jetzt möchte ich noch ein paar Zahlen hinzufügen, die belegen, wie herausragend die Sachsen an diesem Ende des Feldes arbeiten. Das Team um Kapitän Jonas Richter forciert 18,1 Prozent Ballverluste bei seinen Kontrahenten – Ligabestwert. Noch beeindruckender sind allerdings folgende Leistungen: Die NINERS sind die einzige Mannschaft gegen die die effektive Feldwurfquote unter 50 Prozent und der Assist-Turnover-Ratio unter 1 liegt! Das Defensiv-Rating, das letztendlich der wichtigste Indikator für die Verteidigungsqualität ist, liegt bei 97,4. Damit sind die Chemnitzer die unumstrittene Nummer Eins in der Defensive. Aber sie stehen auch unter Einbezug ihrer Offensive zurecht ganz oben in der Tabelle. Das Net-Rating von 17,7 ist auch ein Ligabestwert!
Eine kleine, aber feine Rotation
Das Big-Men-Duo mit Jonas Richter und Kevin Yebo bildet das Prunkstück der sehr dünn besetzten deutschen Fraktion. Richter spielt seit 19 Jahren (!) für die NINERS. Dass er im Sommer seinen auslaufenden Vertrag nur um ein Jahr verlängerte, deutet allerdings darauf, dass er nach dieser Spielzeit einen Wechsel ernsthaft in Betracht zieht. Yebo war die Entdeckung der vergangenen Saison und brilliert weiterhin. Kein Center attackiert so aggressiv wie der 27-Jährige, der entsprechend die meisten Freiwürfe der Liga zugesprochen bekommt und aus dem Feld absurde 74,5 Prozent seine Versuche verwandelt. Daneben verfügt nur Dominic Lockhart über Erstligaerfahrung. Der fast zwei Meter große Guard hat aber nach seinem Außenbandriss offensiv noch überhaupt keinen Rhythmus gefunden.
Aufgrund der Verletzungen haben die Chemnitzer bereits zwei Ausländer nachverpflichtet, so dass acht Legionäre im Kader stehen. Aher Uguak zeigt sich verbessert im Vergleich zu seiner Rookie-Saison, und die Qualitäten von Kaza Kajami-Keane, der verletzungsbedingt nur vier BBL-Spiele bestreiten konnte, und DeAndre Lansdowne waren in der Liga bereits bekannt. Kommen wir also zu den Entdeckungen. Wes van Beck ist ein begnadeter Werfer (49,3 Prozent Dreier bei 7,3 Versuchen), der seit der Verletzung von Kajami-Keane auch beweist, dass er im Spielaufbau mehr als nur ein sekundärer Playmaker sein kann. Power Forward Jeff Garrett ist aktuell der beste Rebounder der Liga (9,0). Dazu kommen sein Scoring und seine Verteidigung, die ihn zu einem hocheffektiven Allroundpaket machen. Grundsätzlich bleibt aber abzuwarten, wie dieser Kader die Doppelbelastung und die vielen Minuten (drei Spieler mit über 30 in der BBL) verkraften wird.
Der Coach
Der Aufschwung der NINERS ist seit vielen Jahren untrennbar mit Rodrigo Pastore verbunden. Der argentinische Trainer arbeitet seit 2015 bei den Niners und hat seinen Vertrag mittlerweile bis 2026 verlängert. Er steht wie auch das umsichtige Management für organisches Wachstum und Bodenhaftung. Seine pragmatischen Ansätze verleihen der Mannschaft die Stabilität, die dafür verantwortlich ist, dass es trotz der erheblichen Fanunterstützung in der Messehalle keine Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsleistungen gibt. Der 51-Jährige ist aktuell ein heißer Kandidat für die Auszeichnung „Trainer des Jahres“. Er ist ein gewiefter Taktiker, aber darauf sollte man ihn nicht reduzieren. Angesichts des Verletzungspechs zeigt die Serie von wettbewerbsübergreifend 17 Siegen die enorme Widerstandsfähigkeit der Mannschaft. Und diese Widerstandsfähigkeit ist auch ein Teil von Rodrigo Pastores Persönlichkeit.
Kochs Nachschlag
Chemnitz hat für diese zehn ungeschlagenen Wochen nicht genug Anerkennung erhalten, auch nicht von mir. Der Verweis auf bislang eher schwache Kontrahenten wurde gerne als Argument benutzt. Aber die NINERS sind for real! Das bewiesen sie auch am Mittwoch, als sie nach der Pokalniederlage im Europe Cup in die Erfolgsspur zurückkehrten. Außer dem Deutschen Meister konnte sie noch kein Team besiegen. Das sollten auch Berlin, Ludwigsburg, Bonn und München wissen, die ab Ende Dezember den ultimativen Chemnitz-Check durchführen werden.

Stefan Koch war zwei Jahrzehnte lang Headcoach in der ersten Liga und wurde 2000 und 2005 als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er erreichte mit seinen Teams regelmäßig die Playoffs und trat sieben Mal im Europapokal an. Sechs Mal nahm er am TOP FOUR teil und gewann 2000 mit Frankfurt den Pokal. Zudem war der Hesse drei Mal Headcoach des All-Star-Games.
Koch arbeitet aktuell als Kommentator bei Dyn, war früher auch als Experte und Kommentator für SPORT1, Premiere, Sportdigital und MagentaSport tätig, sowie als Scout für die NBA. Seine Kolumne „Kochs Nachschlag“ findet sich bei uns regelmäßig hier im News-Center rechts unter der Rubrik "Kochs Nachschlag". Außerdem produziert er gemeinsam mit Oliver Dütschke im Zweiwochentakt den Podcast „Talkin‘ Basketball“, der auf allen gängigen Plattformen abrufbar ist.